
EIN INTERVIEW MIT BURLESQUE-IKONE MARLENE VON STEENVAG
Marlene von Steenvag ist die Co-Initiatorin des 1. Hamburger Burlesque Festivals
Vom 06. bis zum 09. April 2017 findet erstmalig das Hamburg Burlesque Festival (HBF) mit internationalen und nationalen Burlesque-Künstlern, Akrobaten und Performern statt. Initiiert von Burlesque-Ikone Marlene von Steenvag und 20er Jahre-Expertin Else Edelstahl wird von Neo-Burlesque, über Boylesque bis zu klassischer Burlesque mit Federn und Swarovskis und Korsetts alles geboten, was das Herz begehrt. Die SWAY Mag-Redaktion spricht vorab mit der Co-Initiatorin Marlene von Steenvag.
Liebe Marlene, vielen Dank, dass Du Dir in den hektischen Tagen vor dem erstmalig in Hamburg stattfindenden Hamburg Burlesque Festivals die Zeit genommen hast, mit uns zu sprechen.
Das von Dir und Else Edelstahl (u.a. bekannt durch ihre erfolgreichen Veranstaltungen „Boheme Sauvage“) im Jahre 2014 ins Leben gerufenen Burlesque-Festival in Berlin ist ja nun etabliert und über die Grenzen von Deutschland bekannt. Dennoch waren wir überrascht, dass ihr als „Berliner Gören“ nun auch Hamburg erobert. Wie kam es zu der Standortentscheidung Hamburg?
Eine gute Frage. Burlesque ist in Deutschland erst sehr langsam gewachsen. Als ich 2009 nach Deutschland zog, gab es kaum Auftrittsmöglichkeiten. So sind wir als Performer viel gereist und eine regelmäßige Station war damals Hamburg, weil es die einzige Stadt mit einem Burlesque Club war. So sind fast alle damaligen Deutschen Performer einmal im Monat nach Hamburg gereist, haben ihre Shows dort auf der kleinen Minibühne entwickelt und haben sich gegenseitig unterstützt. Damals war es Eve Champagne, die mich einlud, bei der ich übernachtete und mit der ich erstmal den Kiez sah. Somit ist Burlesque in Deutschland abhängig von der Szene, nicht von der Stadt. Daher kommen wir nicht als ‘Berliner Gören’ in die Hafenstadt, sondern als Stellvertreter, Liebhaber und Aufbauer der Szene und da sind wir auch in Hamburg fest zu Hause und willkommen. Das Festival wird auch kein Abklatsch von Berlin, sondern es trägt seinen eigenen rauen bis großbürgerlichen Charme. Wir arbeiten mit Hamburger Locations wie der Prinzenbar und dem Uebel & Gefährlich zusammen. Die Burlesque Königinnen Hamburgs stehen auf der Bühne neben internationalen Stars und Berlin spielt hier keine Rolle.

Du bist seit einigen Jahren als äußerst erfolgreiche Burlesque-Performerin unterwegs. Jetzt der Tausch von der Bühne in den organisatorischen Backstage-Bereich. Wird das Deine Zukunft oder bleibst Du der Bühne treu?
Vielen Dank! Eigentlich wollte ich ja immer Künstlerin mit Allüren sein, aber da es in Deutschland und in großen Teilen Europas keine professionelle Szene gab, als ich anfing, mussten wir eigene Events schaffen um überhaupt die Möglichkeit zu haben, auftreten zu können. Somit kam ich wie die Jungfrau zum Kinde und habe 2010 zusammen mit Else den Salon Kokett als Veranstaltungsreihe gegründet. Durch das Reisen hatte ich großartige Performer aus aller Welt kennengelernt und fand es immer ärgerlich, dass die Leute das wunderbare Burlesque und die Vielseitigkeit auf hohem Niveau nicht kennenlernen konnten. Aus dem Gedanken, die Vielseitigkeit, die Hochwertigkeit des Burlesque Zuschauern auch außerhalb der Szene zugänglich zu machen, entstand das Festival. Wir sehen uns immer noch in der Aufklärungsarbeit für unsere Kunst. Wir möchten Burlesque nicht im Underground versauern lassen, sondern kulturinteressierten und neugierigen Menschen zeigen, was Burlesque ist und warum es so viel Spaß und Lebensfreude bringt. So bin ich zur Veranstalterin geworden, obwohl ich eigentlich immer nur tanzen wollte.
Mein Ziel war es auch immer, nur so lange auf der Bühne zu stehen, wie ich es möchte und niemals performen zu müssen. Also bleibe ich einfach so lange, wie ich mich wohl fühle und wie es dem Publikum gefällt. Ich denke, das ist noch ein bisschen. Daher bleibe ich euch gerne als Performer erhalten, kümmere mich jedoch gleichzeitig auch um Nachwuchsperformer, öffne Nachwuchstalenten Türen und genieße, wenn unsere Kunst kennen und lieben gelernt wird. Von dem Gedanken eine Diva mit Allüren zu sein, habe ich mich schon 2010 verabschiedet, was mit Sicherheit der größte Gewinn ist. Kunst ist harte Arbeit, Konzentration und Durchhaltevermögen.
Mit welcher Show wirst Du beim HBF auf der Bühne zu sehen sein?
Auf dem HBF zeige ich meine Show “Opium-Pavillon”. Dabei geht es um die Liebe, die wie Opium durch das Blut fließt und einen in einen Rausch versetzt. Gleichzeitig legt sich die Liebe wie Fesseln um den Körper. Zu dem Musik von Lana del Ray und Marla Blumenblatt lege ich mich in ein Self-Bondage. Sanft, leidenschaftlich und ernst ist die Show. Ich liebe sie sehr.

Was erwartet uns an den drei Festival-Tagen in Hamburg? Was sind Deine persönlichen Highlights des Programms?
Am Donnerstag starten wir in der Prinzenbar mit der Opiumhöhle. Verrucht, mystisch und leidenschaftlich. Am Freitag sehen wir den Dark Circus. Neo-Burlesque vom Feinsten. Als kleiner Tipp: Diese Show beginnt bereits vor dem Uebel & Gefährlich in der Warteschlange. Hier lohnt sich wirklich rechtzeitig zum Einlass vor Ort zu sein.
Der Samstagabend ist der Grand Palace ebenfalls im Uebel & Gefährlich. Dann sehen wir klassischen Burlesque auf höchstem Niveau.Mein persönliches Highlight ist zu sehen, dass wirklich alle aus der Hamburger Burlesque Szene von Anfang an Feuer und Flamme für das Festival waren und dabei sind. Ob Eve Champange, Hedoluxe, Miss Atlantik Titti oder Nathalie Tineo von den Sinderellas. Nicht eine Person hat gezögert mit an Bord zu sein, wenn wir die Segel setzen. Ebenfalls geht auch ein großer Dank an die Boutique Bizarre und das St. Pauli Museum für die tolle Unterstützung. Das ist ein großes Kompliment an uns und macht uns wirklich stolz. Wir können jetzt schon sagen, dass wir das Publikum mit einem Feuerwerk an Shows begeistern werden.
Wird es es neben den Shows noch ein Rahmen-Programm geben?
Am Freitag von 16:00-18:00 haben wir eine Performer Meet&Greet in der Galerie der Boutique Bizarre mit Sektempfang. Dort stellen über den Zeitraum des Festivals drei unserer Festival-Fotografen und eine Burlesque-Malerin aus Hamburg aus. (Nächstes Jahr müsst ihr bitte unbedingt mit dabei sein!) Workshops für Burlesque Beginner und Fortgeschrittene gibt es am Samstag zwischen 14:00 und 18:00 im Aerial Dance Center. Am Sonntag schließen wir das Festival mit einem Farewell Brunch. Hier treffen sich Performer, Freunde und auch Gäste im Café Pauline zum Brunchen. Ungezwungen, ohne Kostüm und Make-up plaudern wir zwischen Brötchen, Lachs und Sekt darüber, was alles hinter der Bühne, passiert ist. Was schief ging, wie es gerettet wurde und haben einfach nur eine schöne Zeit, bevor wir uns nächstes Jahr wieder sehen.

Gibt es noch Karten für das Festival? Wenn ja, wo?
Karten gibt es noch wobei einige Tage kurz vor dem Ausverkauf stehen. Die kann man online erwerben oder direkt bei der Boutique Bizarre oder im St. Pauli Museum kaufen.
Bleibt das HBF eine einmalige Sache oder wollt ihr das Festival in Hamburg als feste Institution für die kommenden Jahre ebenfalls etablieren?
Das Festival wird einmal im Jahr im Frühling stattfinden. Wir buchen stets neue Performer, bieten den Gästen neue Eindrücke und Inspiration und wechseln auch die Workshops ab. Vielseitigkeit, Entertainment und Inspiration steht auf unserer Fahne und die haben wir jetzt mit Hilfe der Szene gehisst.
Gibt es neben Berlin und Hamburg noch weitere Städte, die ihr im Visier habt, um dort Festivals in Angriff zu nehmen?
Nein. Uns begeistern Hamburg und Berlin, weil in diesen Städten der Puls der Zeit schlägt und beide eine spannende Geschichte haben, in die Burlesque gehört. Hamburg und Berlin sind die Wiege der Deutschen Burlesque-Szene und prägen die Szene maßgeblich. Seit Jeher sind diese Städte Ursprung meiner Inspiration und ich liebe sie beide von Herzen.

Erinnerst Du Dich noch an Dein erstes Foto-Shooting mit Carlos Kella?
Hahahaha, jaaa! Das erste Foto-Shooting war sehr lustig. Es war 2009 und ich war neu in der Szene. Seine Bilder sahen alle so glamourös und gekonnt aus. Carlos hatte ein Museumsschiff als Location gebucht und ich habe gedacht, am lustigsten wären Bilder als Pin-up Matrosin. Sehr Klischee aber so denkt man halt am Anfang 🙂 Dann ging beim ersten Bild der Reißverschluss von dem – sagen wir mal – ”sehr günstigen” Kostüm kaputt. So, da saßen wir auf dem Museumsschiff und hatten nur ein kaputtes Kostüm, eine Kamera und fanden die Situation aber beide wirklich skurril und unterhaltsam. Kurzerhand haben wir von dem Museumswächter das Namensschild zweckentfremdet und das Kostüm damit zusammengeheftet. Den Rest hat irgendeine Schnur, von der ich gar nicht mehr weiß, wo sie herkam zusammengehalten und los ging es. Da haben wir uns im Chaos wirklich schätzen gelernt und super harmoniert. Es war ein tolles Shooting, woraus noch viele weitere gemeinsame Projekte entstanden sind.
Heute hängt das Bild, das damals entstanden ist, in meinem Flur. Es beinhaltet für mich das Gefühl von Freiheit, Aufbruch und Kraft. Der Blick in die Zukunft. Ich liebe dieses Bild!
(Anm. der Redaktion: Auch wir lieben dieses Bild! Es hängt in Galeriequalität im Format 1,50 x 1,00 Meter in unserem Eingangsbereich.)

Woher kamen die ersten Inspirationsquellen für Deine künstlerische Karriere?
Ich hatte nie eine andere Wahl. Alles was ich wollte, war auf die Bühne zu gehen, gesehen zu werden und Geschichten mit meinem Körper zu erzählen. Ich wollte das Innere im Äußeren darstellen. Etwas sagen, ohne ein Wort zu verlieren. Keine Verbindlichkeiten. Keine Rechtfertigungen. Einfach nur mich neu erfinden. Ich wollte eine schöne Welt kreieren. Damals habe ich in einem 25qm-Zimmer in einer WG an der Frankfurter Allee gewohnt. Und aus vollem Herzen konnte ich zu mir sagen, wenn ich mit 70 Jahre hier immer noch sitze und genug zu essen habe, dann ist das für mich in Ordnung. Weil ich genau das mache, was ich immer wollte und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keine Angst mehr vor Armut. Über viele Stolpersteine bin ich dann wirklich in das Glück gefallen. Ich weiß das zu schätzen und es war kein leichter Weg und ich pflege und hege es, so gut ich kann.
Es fällt auf, dass es inzwischen neben den zahlreiche Festivals, Veranstaltungen und Motto-Partys ebenso viele neue Tänzerinnen gibt. Wann darf sich eine Tänzerin Deiner Meinung nach ‚Burlesque-Performer’ nennen?
Ich bin da nicht konservativ. Wer möchte kann sich Burlesque Tänzerin nennen. Diese Berufsbezeichnung ist nicht ‘geschützt’. Es ist aber so, dass Burlesque ein Lebensentwurf ist. Man belebt ein Alter Ego und füllt diese Identität. Zum Burlesque gehören auch Auftritte und ein Publikum. Wer ein festes Alter Ego hat, sich selber individuell ausdrückt, ein Publikum erreicht und unterhält, wer sich selbst erfunden hat und das nach Außen glaubwürdig transportiert, der ist in meinen Augen ein Burlesque Performer.
Bitte ergänze die nachfolgenden fünf Sätze:
- Die Frau von heute sollte … sich als gleichberechtigt verstehen und ihr Ding machen.
- Das wichtigste Accessoire einer Burlesque-Tänzerin auf Reisen ist … der Lippenstift und die Sonnenbrille.
- Wenn auf der Bühne mal was schief geht … muss man es in die Show einbauen.
- In meiner Freizeit trage ich am liebsten … ein Lächeln.
- Berlin, Hamburg und dann… feiern!
Eine Frage in eigener Sache: In der heutigen Zeit sind Burlesque-Performer gern gesehene Unterhaltungskünstler/innen, es gilt als schick und angesagt, die Shows zu besuchen. Ganz im Gegensatz zu früher wie zum Beispiel in den 50er und 60er Jahren: Da wurden die Tänzerinnen eher als Teil der Halbwelt gesehen, nicht allzu weit entfernt von Animierdamen und Prostituierten. Die Interessensvertreter der Artisten und Varieteekünstler wehrten sich auch lange vehement dagegen, Schönheits-, Schleier- oder Schlangentänzerinnen als Kolleginnen anzuerkennen. Es ist wenig über einzelne Schicksale bekannt. Auch darüber, wie die Damen es geschafft haben, sich in einer von Männer dominierten Welt zu behaupten. Mit dem Ende des Booms der Bars und Strip-Lokalen der 70er Jahre verwehen auch die Spuren dieses Phänomens. Seit dieser Zeit hat sich auch kaum jemand ausführlicher mit dem Thema befasst. Wir werden nunmehr – dank der Sammlung Siegfried Sander von der Galerie Multiple Box – diesen vergessenen Frauen im SWAY Books Verlag ein Buch widmen. Erst einmal mit Hamburger Künstlerinnen aus dieser Epoche und einem Brückenschlag in die heutige Zeit mit Bilder von Carlos. Flankiert wird das ganze mit Zeitungsausschnitten aus den Fachorganen DAS PROGRAMM und DAS ORGAN DER VARIETÉ-WELT sowie Abbildungen von Devotionalien der vergangenen Zeit wie z. B. Flyer, Speisekarten, Bewirtungsbelege und Eintrittskarten der Etablissements auf dem Kiez. Was hältst Du von dem Projekt?
ICH FINDE ES SUPER!!!!!!!!

Nun haben wir in den vergangenen Jahren diverse Fotoproduktionen gemeinsam absolviert. So bist Du Bestandteil diverser Projekte von Carlos Kella | Photography und SWAY Books: Ob im Kalender Girls & legendary US-Cars, als Amazone bei dem Kunstprojekt BIKINIRAMA® oder im Bildband PHOTOS, LOVE & STORIES in einer aufwendig inszenierten Bondage-Szene. Was darf der SWAY Mag Leser von uns gemeinsam in der Zukunft erwarten? Gibt es Ideen oder Wünsche Deinerseits?
Wir haben viel zusammen gemacht und die Shootings mit Carlos Kella und später auch mit seiner Partnerin Alexandra (Lily) waren für mich großartig, weil sie mit viel Liebe zum Detail, eine tolle Szenerie, professionellem Hair & Make-up Artist und einer guten Story geplant waren. Was mich persönlich wirklich begeistert, ist das neue Projekt von Sway Books, in denen es um die historische Aufarbeitung der Tanz- und Burlesque-Szene in Hamburg geht. Ein derartiges Projekt mit alten Bildern und Texten, historisch fundiert ist in der Deutschen Geschichte absolut neu. Das ich im Ausblick auf die Gegenwart und Zukunft Teil von diesem Buch sein darf, freut mich sehr. Und es zeigt mir ein weiteres Mal, dass ich mich in Hamburg zu Hause fühlen darf. Dafür bin ich sehr dankbar. Ein weiterer Ausblick für mich ist auch, dass Carlos angeboten hat, seine Kamera auf das HBF mitzunehmen. Ich kenne seine Bilder gut und seine eigene Sicht auf die Dinge. Ich bin wahnsinnig neugierig, wie und welche Geschehnisse er auf dem Festival festhält. Ich hoffe wir können die Bilder auf der HBF-Vernissage 2018 in der Boutique Bizarre bewundern.
(Anm. der Redaktion: Wir geben alles!)

Deine Prognose zum Thema Burlesque: Sind wir am Ende oder ist der Hype ungebrochen?
Wir sind noch am Anfang des Wachstums. Ich beobachte die Szene nun seit acht Jahren und sie nimmt zunehmend Fahrt auf. Vor einigen Jahren wussten die meisten Leute nicht was Burlesque ist. Jetzt ist der Begriff zwar schon bekannter, aber viele Leute sagen, sie haben noch nie eine Show gesehen, würden das aber gerne. Zunehmend interessieren sich die Medien für Burlesque und an meiner Schule, der Berlin Burlesque Academy, kann ich die Zunahme der Anfragen für Kurse und auch für ernsthafte Ausbildungen erkennen. Burlesque wächst momentan. Immer mehr Wäsche und Modehersteller interessieren sich für diese Kunst. Wir sind noch lange nicht auf der Spitze des Interesses angekommen. Und ich freue mich auf das, was noch kommt.
Liebe Marlene, wir wünschen Dir und Else viel Erfolg in Hamburg! Wir sehen uns dann beim Festival und werden uns ausführlich mit einen Nachbericht melden… Die SWAY MAG Redaktion.
>> Hier gibt es Tickets und alle Infos zum Hamburg Burlesque Festival
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Fotos SWAY Books: Carlos Kella / H & MU: Alexandra Keisef